Forderungen CSD 2012

Alle Forderungen sind natürlich auch im PDF zu finden.
 
Inhaltsverzeichnis
Grenzenlos!
Das  Zusammenleben von Menschen geschieht oft nebeneinander und anonym.  Deswegen kommt es häufig vor, dass Menschen aufgrund von äußeren  Merkmalen diskriminiert und ausgegrenzt werden. Männer, die mit ihrem  Partner Hand in Hand durch die Straßen laufen werden auf offener Straße  beleidigt, Frauen, die mit ihrer Partnerin zusammen in der Disko tanzen,  werden als Lustobjekte angestarrt. Menschen, die sich zwischen den  Geschlechtern befinden, werden fast tagtäglich diskriminiert, wenn nicht  mal der Staat sie vollwertig akzeptiert.
Der  CSD Erfurt fordert hiermit alle Menschen auf, sich aufeinander zu  zubewegen. Vorbehalte müssen durch gesellschaftliche Diskussion abgebaut  werden, um mehr Toleranz und vor allem Akzeptanz aufzubauen. Nur so,  können wir zusammen in der Gesellschaft leben und sie voranbringen. 
Lasst uns die Grenzen in den Köpfen einreißen!
Denkt grenzenlos!
Keine Diskriminierung von Gesetzes wegen
Im Grundgesetz Artikel 3 wird erläutert, dass kein Mensch auf Grund seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen oder politischen Anschauungen diskriminiert werden darf. Außerdem ist die Rede von Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Die Gesetzgebung vernachlässigt hier alle Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen und berückichtigt nicht die Diskriminierungen auf Grund der Sexualität. Beides sind jedoch (bei zweiterem leider) Umständen, die in unserer Gesellschaft vorkommen.
Die Erweiterung des Artikels 3 des Grundgesetzes würde ein klares Zeichen setzen, dass queeres Leben längst zu unserer Gesellschaft dazu gehört und das auch gut so ist.
Der CSD Erfurt fordert deswegen Artikel 3 des Grundgesetzes dahingehend zu ändern, dass die Diskriminierung aufgrund der Sexualität verboten wird und jeder Mensch, unabhängig seines biologischen Geschlechts vor Diskriminierung geschützt wird. 
Keine Diskriminierung seitens der Religionen
Mit der Forderung, das Recht auf freie Religionsausübung nicht länger zur Diskriminierung anderer Menschen zu nutzen, soll ein sehr kompliziertes und vielgestaltiges, ja geradezu „Grenzenloses“ Problem angesprochen werden.
Die Wechselwirkungen zwischen Religionen, Staat und Gesellschaften sind sehr mannigfaltig und ohne Grenzen. Man kann in vielfältiger Weise positive Wirkungen durch Religionen verzeichnen, auf der anderen Seite wurden und werden allerdings auf religiöser Grundlage zu allen Zeiten Menschen aus verschiedenen Gründen diskriminiert und in ihren Menschenrechten verletzt.
Aufgrund der Glaubenslehren einzelner Religionen dürfen keine Bevölkerungsgruppen oder ihre Praktiken pauschal diskriminiert oder für „sündig“ erklärt werden, da dies die Würde der Menschen herabsetzt.
Der CSD Erfurt fordert, dass das  Recht auf freie Religionsausübung nicht zur Verletzung der Menschenrechte anderer Menschen oder deren Diskriminierung missbraucht wird.
Freies Demonstrationsrecht für alle Menschen
Die massive Unterdrückung und Verfolgung von queeren Demonstrationen und eines queeren Lebensstils beschränkt die Menschenreche, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäusserung und die Versammlungsfreiheit massiv.
Die Umsetzung des §55 der Charta der Vereinten Nationen, insbesondere Absatz 3 ( „[…] fördern die Vereinten Nationen: […] 3. die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion.“) ist selbst in sogenannten „erste Welt Ländern“ noch nicht vollends erfolgt.
Noch immer stehen in einigen dieser Länder homosexuelle Handlungen unter Strafe (z.B. Utah – Bundesstaat in den USA) oder sind Kundgebungen, die auf Homosexualität hinweisen verboten (siehe z.B. zuletzt in St. Petersburg).
Das Recht auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und die Würde des Menschen sind als grundlegende Menschenrechte jederzeit zu achten.
Der CSD Erfurt fordert deswegen die Umsetzung der Charta der Vereinten Nationen in allen Mitgliedsstaaten.
Erfassung des Geschlechts in staatlichen Dokumenten
Die Erfassung des Geschlechts in staatlichen Dokumenten (z.B. Reisepass) ist unnötig, da sich daraus keine größere Sicherheit der Dokumente oder eine Verbesserung der Abläufe im Staat ableiten lassen.
In Dokumenten, wie Formularen zur Beantragung von Sozialleistungen o.ä., ist diese Angabe in keiner Weise nötig, da der Anspruch unabhängig vom Geschlecht des Antragsstellers ist. Somit ist dies rein auf den Zweck des Datensammelns ausgelegt.
Überdies wird die Angabe des Geschlechts als männlich oder weiblich dem Individuum nicht gerecht.
Der CSD Erfurt fordert deswegen die Streichung der Geschlechtsangabe in staatlichen Dokumenten.
Freie Entscheidung des Geschlechts
Die Möglichkeit, über sein Geschlecht frei entscheiden zu dürfen, leitet sich direkt aus Artikel 1 des Grundgesetzes ab.
In dem Maß, in dem ein Mensch bereits über den Verlauf seines Lebens entscheiden darf (Ausbildung, Schule, Religion, Verhütung, Kinder etc.) muss er, wenn er sich seiner Entscheidung sicher ist, auch entscheiden dürfen, in welchem Geschlecht er leben möchte.
Die fremdbestimmte Zuordnung zu einem Geschlecht oder einer Geschlechterrolle wird dem Individuum nicht gerecht und widerspricht im höchsten Maße der Zusicherung der unberührten Menschenwürde.
Nicht lebensnotwendige geschlechtszuordnende inversive Operationen bei Kindern sind in diesem Sinne abzulehnen, da damit häufig massive psychische und interpersonelle Probleme verursacht werden.
Der CSD Erfurt fordert deswegen die Möglichkeit zur freien Entscheidung des Geschlechts.
Gleichberechtigter Zugang zur Insemination
Insemination, umgangssprachlich auch künstliche Befruchtung genannt, wird momentan zu 50% finanziell – jedoch maximal 2 Versuche – bei verheirateten Paaren von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Da lesbische Frauen mit eingetragener Lebenspartnerschaft in Deutschland nicht den selben Status wie heterosexuelle, verheiratete Paare haben, müssen sie von der ersten Behandlung an alle Kosten selbst tragen.
Der CSD Erfurt fordert deshalb die Gleichstellung von eingetragener Lebenspartnerschaft mit der Ehe und damit den gleichberechtigten Zugang zur Insemination.
Diskriminierungsfreier Zugang zur Blutspende
Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), werden durch eine gemeinsame Richtlinie der Bundesärztekammer, des Robert-Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Institutes als Risikogruppe bei der Übertragung von Blutprodukten eingestuft und damit pauschal von Blutspenden ausgeschlossen. Davon sind auch Menschen betroffen, die in langjährigen monogamen Beziehungen leben oder seit langer Zeit keine sexuellen Kontakte hatten.
Gleichzeitig werden (heterosexuelle) Menschen nicht ausgeschlossen, die erst kürzlich einen mit einem Risiko behafteten Sexualkontakt hatten.
Mit dem aktuellen Ausschlusskriterien werden zahlreiche potentielle Blutspender daran gehindert, anderen Menschen zu helfen. Gleichzeitig wird der lebensbedrohliche Notstand an Blutkonserven – gerade in Sommer- und Urlaubszeiten – so verstärkt.
Der CSD Erfurt fordert ein Befragung ALLER Blutspender_innen nach ihrem tatsächlichen Risikoverhalten und Sexualgewohnheiten und eine Abkehr von der pauschalen und diskriminierenden Zuordnung aller MSM zu einer Risikogruppe. Nur so kann die Sicherheit von Blutprodukte-Empfänger_innen und gleichzeitig die Zahl der Blutspenden erhöht werden.
Vielfalt im Schulbuchalltag
Vorurteile gegenüber Lesben, Schwulen, Bi-, trans* und intergeschlechtlichen Menschen prägen nach wie vor die öffentliche Wahrnehmung. Auch in der Schule ist „Homosexualität“ höchstens ein Kapitel im Biologiebuch. Die Vermittlung der gesellschaftlichen Vielfalt muss verpflichtend und altersgerecht in der Schule beginnen.
Was zum Alltag gehört, ist nicht fremd und wird allein dadurch schon weniger abgelehnt.
Der CSD Erfurt fordert eine Überarbeitung der Schulbücher, so dass sie ein realistisches Bild der Gesellschaft zeigen – mit verschiedensten Lebensmodellen. Nur so können Vorurteile abgebaut und Homo-/Trans*phobie verhindert werden.
Rehabilitierung von Opfern des Nationalsozialismus
Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine lebhafte homosexuellen Szene in Deutschland. Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933, entstanden so in ganz Deutschland sehr viele schwule und lesbische Kneipen, Nachtklubs und Varietés. In der Ideologie der NSDAP war Homosexualität ein Vergehen, weil Schwule und Lesben sich nicht fortpflanzten und somit nicht an der „Reproduktion der Herrenrasse“ teilnahmen. Aus der gesellschaftlichen Duldung wurden eine strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen.
1934 wurde ein Sonderdezernat der Gestapo gebildet, um eine Liste von schwulen Einzelpersonen anzulegen. 1935 wurde der §175 (sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts) weiter verschärft. 1936 schuf Heinrich Himmler, damals Reichsführer-SS, die „Reichzentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“.
In der Folgezeit wurden zahlreiche Menschen wegen „homosexueller Vergehen“ in Konzentrationslager verschleppt. Neben dem Tragen des Rosa Winkels wurden dort zahlreiche Versuche unternommen, die homosexuellen Häftlinge „zur Heterosexualität umzuerziehen“. Unter anderem mussten sie in KZ-Bordellen unter Aufsicht Geschlechtsverkehr vollziehen, sich kastrieren lassen und zahlreiche medizinische Experimente über sich ergehen lassen.
Der Bundestag hat bereits 2002 Homosexuelle für die Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus rehabilitiert und ihnen eine Haftentschädigung zugesprochen. Bisher ist aber wenig, bis gar nichts passiert.
Deswegen fordert der CSD-Erfurt die Umsetzung des 2002 beschlossenen Gesetzes und angemessene Entschädigung der Häftlinge.
Rehabilitierung DDR/BRD-Opfer (Straftatbestand)
Nach dem 2. Weltkrieg und der Gründung der beiden deutschen Staaten wurde die von den Nationalsozialisten verschärfte Regelung im §175 StGB (sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts) als Gesetzestext beibehalten.
In der DDR wurde zwar 1968 der §175 aus dem Strafgesetzbuch durch die SED gestrichen, aber durch das Ministerium für Staatssicherheit wurden 4000 homosexuelle Männer und Frauen auf so genannten „Rosa Listen“ geführt. Anhand dieser Listen wurden vor allem Schwule kriminalisiert und für krank erklärt. Für die DDR-Regierung waren sie eine politische Bedrohung, die es „auszumerzen“ galt.
In der BRD wurden Homosexuelle noch bis 1969 verfolgt. Am 10. Mai 1957 entschied das Bundesverfassungsgericht: „Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz.“
Bis zur Aufhebung des Paragraphen 1994 im wiedervereinigten Deutschland wurden so über 50.000 Männer verurteilt und 100.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Noch bis in die 1980er Jahre hinein sah das „Handbuch der Kriminalistik“ in der BRD eine Führung solcher Listen wie der „Rosa Listen“ als notwendige Maßnahme an, um den polizeilichen Sicherungsaufgaben gerecht zu werden. Diese Listen sind nur teilweise oder garnicht vernichtet worden.
Bis heute gab es keine Rehabilitierung und Entschädigung an die Opfer, obwohl der § 175 bereits 1994 gestrichen wurde.
Der CSD Erfurt fordert deshalb eine Rehabilitierung der Opfer und eine Entschädigung für die Haft und entstandenen Qualen.